Die Küste, endliche Weiten

Wenn es irgendwo gut war, wieso sollte man anderes blind ausprobieren? Also geht auch der Bildungsurlaub 2018 nach Potshausen im Overledingerland. Thema: “Weltnaturerbe Wattenmeer”. Die Reise in den Norden verlief… schleppend. Frühstück mit Papa, ab ins Auto, hoch motiviert, am Wiesbadener Kreuz Kurs Nord eingeschlagen und – STAU, von Idstein bis Limburg. Und schon war der Zeitplan Essig. Auch der Rest der Strecke bestand gefühlt zur Hälfte aus Baustellen, so richtig zügiges Fahren kam nicht auf. Doch um halb fünf fuhren wir auf den Parkplatz des EBZ Potshausen, bisschen später als geplant, doch nur genug Zeit zum Auspacken und Erholen. Ich hatte sogar dasselbe Zimmer wie beim letzten Mal, Platz genug. Abendessen wieder im Deterner Krug, lecker Schnitzel mit Bratkartoffeln, Pilzen und Rotweinsoße. In Detern war übrigens Burggarten-Fest, Unmengen an Autos. Total ungewohnt.
Montag morgens Frühstück, man lernt die ersten Kursteilnehmer kennen. Anschließend noch ein bisschen Pause, der offizielle Teil startet ja erst um 13:00. Kurzleitung macht wieder der Heinz, das war schon Auswahlkriterium. Die schon gewohnte Statistikrunde ergibt, dass ich der Jüngste in der Runde bin, niemand U40 und nur zwei von über zwanzig U50. Eindeutig fehlt da der Nachwuchs. Besonderen Wert legt Heinz auf die Wattwanderung, ausgiebig weißt er auf die Besonderheiten hin – richtiges Schuhwerk, Sonnenschutz und ausreichende Kondition. Ein bisschen mulmig wurde mir da schon, mein leichtes Übergewicht werde ich wohl im Schlick doppelt merken. Aber ich entschied mich, das durchzuziehen und nicht mit der Fähre nach Borkum überzusetzen.
Doch erstmal die Theorie. Das Wattenmeer. Zieht sich von den Niederlanden entlang der deutschen Nordseeküste bis nach Dänemark. Die riesigen Flächen, die bei Ebbe trockenfallen, sind weltweit einmalig und ein riesiger Lebensraum für eine ebenso einmalige Flora und Fauna. Seit 1986 ist der niedersächsische Teil Nationalpark, Teile sind für Menschen nicht mehr zu betreten, sogenannte “Ruhezonen”. Spätestens seit dieser Zeit gibt es ein Gegen- und Miteinander verschiedener Gruppen: Naturschützer, Küstenschützer (Deichbau), Landwirtschaft, Fischerei, Industrie, Tourismus. Jeder will was von dem schönen Flecken Erde und die meisten Forderungen sind direkt gegensätzlich. Spannend, und in der Tiefe kennt man es als Binnenländer auch nicht. Ein Film “Land in Sicht” zeigt, wie sich das Land im Jahr so verändert, welche Vogelarten wann hierher kommen, zum Rasten oder auch für länger. Kein Wunder gibt es zum Thema “Vogelzug” eigene Seminare hier.
Abendessen Matjes mit Bratkartoffeln. Muss man mögen, meins sind die Fischfilets nicht so ganz. Aber passt schon. Die erste Nacht mochte mein Rücken noch nicht so arg, fremde Betten, wer kennt das nicht. Das sollte über die Woche aber besser werden.

Morgenstund hat Gold im Mund. Der “Clearstream”-Wecker warf mich viel zu früh aus dem Bett, nein, ich will nicht um halb sechs aufstehen! Duschen. Frühstück. Tee. Brot. Wurst. Noch ein kleines Lunchpaket packen, dann ab zu den Autos, heute gibt es eine große Rundreise. Erster Stopp ist das Dollart-Museum in Bunde, dass ein ehemaliger Telekom-Ingenieur (Vorruhestand) seit einigen Jahren praktisch als Alleinunterhalter betreibt. In diversen Dioramen ist die Geschichte des Deichbaus dargestellt. Alles in seiner Freizeit hergestellt, eine Heidenarbeit – mehrere hundert Zahnstocherteile (“Zaunpähle”) anzumalen, mit Bindfaden zu verbinden und aufzustellen… muss man schon nen leichten Hau haben für?! Sehr schön konnte er allerdings vermitteln, dass auch der Deichbau in früheren Jahrhunderten eine Knochenarbeit war. Der Boden ist wohl extrem fest und schwer und die ganze Erde musste vor dem Deich, Richtung Meer, ausgehoben werden. Dann auf kleine Karren, den Deich hoch, und da verfüllt werden. Später in der Woche sahen wir “Küstenschutz 2000”, schwere Planierraupen, große Traktoren, die Hänger voller Erde zu riesigen Haufen transportierten. Auf einem großen Display (ebenfalls Marke Eigenbau, mit der Schalttechnik der 80er) konnten wir sehen, wie sich die Küstenlinie am Dollart verändert hatte. Im späten Mittelalter hatten große Sturmfluten riesige Gebiete an der Emsmündung verschlungen und den Dollart entstehen lassen. Viele Dörfer wurden aufgegeben. Doch ab dem 17. Jahrhundert wurde schon wieder Land zurück gewonnen. Polder für Polder wurde eingedeicht und wieder landwirtschaftlich genutzt. Auch einige Exponate aus dieser Ära sind im Museum ausgestellt und werden von unserem Guide zum Leben erweckt.
Nun aber endlich wieder Tee. Und lecker Torte. Weiter geht´s. Nanu. Die Straßenschilder sehen plötzlich so komisch aus. Der Vogelposten “Kiekkaste” liegt doch wirklich in Holland. Nein. Niederlande. Landshcaft Groningen. Einen knappen Kilometer geht es über einen Bohlenweg durchs hohe Schilf, dann steht man unter einem Beobachtungsposten wie aus einem SciFi-Film. Ein paar Meter hoch auf Stelzen errichtet ein Einfamilienhaus mit Seeschlitzen in alle Richtungen. Mit Vaterns Fernglas aus alten Armeebeständen konnte man sogar einiges sichten. Wieso sind da eigentlich kyrillische Buchstaben drauf? Aus den Beständen WELCHER Armee? Irgendwie volkseigen? Ach so.
Zur Mittagspause ging es nach Ditzum, kleines Dörfchen mit 700 Einwohnern, kleinem Fähr- und Fischereihafen und zu wenigen Parkplätzen. Auf dem Weg zum Fischbrötchen führt der Weg durch schnuckelige Gassen, vorbei an einer Kirche mit separatem Turm und einer Windmühle (Gallerieholländer, letztes Jahr gelernt). Die Sache mit dem separaten Kirchturm erklärt sich ganz einfach: der Marschlandboden hier oben wäre für eine Kirchen mit integriertem Turm nicht stabil genug, darum sind es zwei getrennte Bauwerke.
Von Ditzum aus geht es zum “Bohrturm” Dyksterhusen, eine alte Plattform, von der aus in den 60er Jahren mal nach Erdgas gesucht wurde. Erfolglos. Heute ein schöner Aussichtspunkt mit Blick über den Dollart Richtung Niederlande. Vor den Deichen kann man gut die Buhnen und Lahnungen sehen, mit denen das Vorland befestigt wurde. Allerdings werde hier kein Land mehr gewonnen, stattdessen dienten die Befestigungen heute nur noch als Wellenbrecher und damit dem Schutz der bestehenden Deiche. Schwimmen könnte man hier auch, aber nach einem Blick ins braune – und vermutlich kalte – Wasser wollte irgendwie keiner.
Nach einem Schluck Tee geht es weiter, letzter Punkt heute auf der Liste ist der Polder “Holter Heinrich”. Die Geschichte dieses Polders ist recht banal. Durch die Kanalisierung der Ems und ihrer Zuflüsse konnte es bei Starkregen (Sturm) zu Überflutungen des hinter dem Deich liegenden Landes kommen. Die alten Mechanismen der Natur waren ja durch Kanäle, Begradigungen und Sperrwerke außer Kraft gesetzt. Also wurden neue Überflutungsgebiete ausgewiesen, die solche Wassermengen aufnehmen können. Teilweise wird es als Grünland bewirtschaftet, teilweise ist die Fläche auch gänzlich naturbelassen. So können Zugvögel hier in relativer Ruhe rasten und sich vollfressen. Mal ein Beispiel, wie Hochwasserschutz und Naturschutz in die gleiche Richtung arbeiten können.
Abendessen. Immer wieder wichtig. Spargel, Sauce Hollandaise, junge Kartoffeln, Schinken. Ja, eine ordentliche Küche hat es hier.

Die braucht es am nächsten Tag auch, denn nun steht die Wattwanderung an. Heute das tagesfüllende Programm, mit knapp einer Stunde Fahrt nach Neßmersiel, wo uns der Waldschrat aufgabelt. Nein, der Wattführer ist vom Nationalparkhaus Dornumersiel und sieht nur sehr urig aus. Ordentlich eincremen, heute hat es wieder warm und Sonne. Dazu mein Kanadasouvenir auf den Kopf und die Schuhe fest verschnürt. Die werden sicher auf Baltrum in die Tonne wandern, aber bis dahin müssen sie am Fuß sitzen. Denn seit einigen Jahren gibt es im Watt pazifische Austern und barfuß in die rein latschen macht wohl arg Aua. Übrigens wieder was gelernt, denn diese Austern gehören hier gar nicht ins Wattenmeer und gefährden die einheimischen Miesmuscheln.
Die Wattwanderung. 7,7 Kilometer, rund drei Stunden. Ein mieser Schnitt? Auf keinen Fall. Ungefähr 40 % gingen durch Schlickwatt, dieser fiese Moder, in dem man steckenbleibt und den Fuß nur mit List und Tücke wieder raus bekommt. Idealerweise mit Schuh. Harte Arbeit für mich, erst kurz vor Baltrum war es dann durchgehend Sandwatt, auf dem man wie auf einem festen, nassen Sandstrand läuft. Insgesamt gingen die Lehrstunden etwas an mir vorbei, weil bis ich wieder bei der Gruppe war, ging es schon weiter. Doch immerhin so viel – bloß weil man nur Schmodder und Sand sieht, heißt das nicht, dass es kein Leben gibt. Im Gegenteil. Wattwürmer, Muscheln ohne Ende, Krebse zum Anfassen und in den Prielen natürlich auch Fische. Von noch kleinerem Gekräuch mal ganz abgesehen.
Bei dem tollen Wetter war es sehr anstrengend und am Anfang auch mit viel Fluchen verbunden. Aber auch ein Erlebnis. Bei 12 Grad und Regen oder am besten noch Nebel will ich da draußen nicht lang schleichen…
Auf Baltrum angekommen – Fuße säubern. Schuhe und Socken waren triefnass und voller Schlamm, Schlick und wie das Zeug noch so heißt. Also ab in die Tonne, Ersatz hab ich mit. Das Wasser ist eiskalt, aber den Füßen macht das auch nix mehr. Leider ist die Futterstelle genau HEUTE zu, also nur das Lunchpaket zur Verpflegung. Laut App hat mich die Wanderung immerhin 1450 kcal und einen halben Liter Wasser gekostet. Mit der Fähre geht es dann zurück zum Festland, vorbei an ein paar Seehunden und durch die bei Flut immer noch schmale Fahrrinne. So vom Schiff aus sieht das Watt schon viel entspannter aus, allerdings sieht man auch, wie schnell die Priele vollaufen und wie schnell es mit der spaßigen Wanderung um sein kann. Bei Hochwasser sind die Stellen, die wir durchwanderten, zum Teil zwei, drei Meter unter Wasser.
Nach dem Anlegen geht es zum Nationalparkhaus nach Dornumersiel. Den Bildungsauftrag schiebt die Ausstellung mehr auf “die Kleinen”, klar, hier werden sicherlich Schulklassen gut unterhalten. Wenn man gerade das alles “live” hatte und noch Eindrücke sortieren muss, ist es etwas dünne. In einer Blackbox nach Muschel- und Krebsschalen tasten, wenn man gerade echte, lebendige in der Hand hatte… naja. Zum Abschluss noch einen Erdbeer-Eisbecher (nicht so gut, wie Krifteler Erdbeeren), dann retour nach Potshausen. Komplett erledigt noch Schweinebraten mit Knödeln vertilgt (lecker lecker), das reicht für heute.

Noch eine Runde Exkursion am Donnerstag, diesmal mit dem Schwerpunkt Küstenschutz und Vogelwelt. Matthias Bergmann – Dipl.-Ing. Landespflege, Zertifizierter Waldpädagoge, Obstbaumfachwart. Klingt nach einem vom Fach. Und wirklich, Vögel gucken geht besser, wenn einem jemand sagt, wo man hinschauen muss. Super getarnt, das Viehzeug. An mehreren Stationen ging es zu Fuß weiter, und es wurde klar, wie eng teilweise Industrie (Erdgasspeicherung unter Tage), Tourismus (Badestelle an der Ems), Küstenschutz (Deich) und Naturschutz (Vogelschutzgebiet) nebeneinander sind. Und ebenso klar wurde es, dass Menschen, die zu blöde sind, Schilder zu lesen, in Naturschutzgebieten echten Schaden anrichten können. Zum Beispiel können brütende Vögel aufgeschreckt werden, den Stress haben die nicht gerne. Auch Zugvögel brauchen bei der Rast ihre Ruhe. Und wenn dann noch “Experten” ihre Hunde frei laufen lassen, dann hakt es echt aus… Interessanterweise haben Kitesurfer weniger Einfluss auf die Brutvögel, unserer Guide hatte dazu mal eine Studie gemacht im Landesauftrag und einen Sommer lang das beobachtet und dokumentiert.
Am Leuchtturm Campen (im Programm dachte ich “Campen, Schauen wir uns nen Zeltplatz an??? Irgendwas mit Tourismus?!”) sahen wir dann Küstenschutz des 21 Jahhunderts. Nichts mehr mit Schubkarre und Spaten, sondern schweres Gerät. Und viel Staub. An dieser Stelle wird Kleiboden, der vor dem Deich erst als Puffer angelegt wurde, wieder abgetragen. Dadurch soll es wieder natürliche Salzwiesen geben, die durch den menschlichen Eingriff verschwunden sind. Und der Klei wird genutzt, um den Deich ein bisschen zu erhöhen. So hab ich es zumindest verstanden.
Weiter ging es nach Pilsum, bekannt für einen gewissen rot-gelben Leuchtturm. Der aber nicht so im Fokus stand wie die Fischbrötchen. An einer kleinen Vogelbeobachtungsstation konnte man noch mal Vögel gucken, ebenso später vom Deich aus. Vorm Deich waren wieder ältere Befestigungen zu sehen, die aber “zu gut” funktionieren. Die Entwässerungsgräben funktionieren so gut, dass die typischen Wiesen vor dem Deich zunehmend überwuchert werden und die Vegetation wie der Girsch verdrängt werden. Das beeinflusst wiederum auch die Fauna, weil z.B. manche Vögel sich auf diese Salzvegetation spezialisiert haben. Hängt echt alles zusammen hier!
Noch ein Abstecher nach Greetsiel, einem alten Fischerhafen, dann endet das Programm am Donnerstag. Backsteinbauten zeugen von einem früheren Reichtum hier, der Hafen ist inzwischen durch eine künstliche Halbinsel, die Leyhörn vom direkt Meerzugang abgeschnitten. Da aber beim Bau dieser Halbinsel – Küstenschutz mal wieder – eine Schleuse eingebaut wurde, können die Krabbenkutter aus Greetsiel tidenunabhängig in die Ems und damit ins Wattenmeer schippern. Mitgedacht, da war sicher auch einiges an Lobbyarbeit notwendig in den 80er Jahren.
Traditionell gibt es am Donnerstag Abend ein kleines Fest für die Seminarteilnehmer. Sommerzeit, also wird gegrillt, dazu Salate. Lecker schmecker. Und auch beim Bier wird noch mal zugegriffen und gequatscht, ob und was man in den letzten Tagen so Neues gesehen hat. Vieles kennt man schon aus dem Fernseher oder aus Büchern. Doch “in Farbe und bunt” wird das alles viel greifbarer. Und man kapiert mal wieder, dass es Naturschutz nicht für umsonst gibt und dass man auch als Tourist achtsam sein sollte, wo man seine Quadratlatschen absetzt.

Der Freitag ging zügig vorbei, noch ein Dokufilm über den Küstenschutz. Was so ansteht, auch im Zuge des Klimawandels und der Erhöhung des Meeresspiegels. Und einige Zeitzeugen von der letzten großen Flut 1962. Jupp, die Sturmflut, die Helmut Schmidt berühmt machte in Hamburg. Wieder so ein typischer Aha-Moment. Die Flut kennt jeder, und auch die Bilder aus Hamburg. Helikopter, die Menschen von Dächern retten und so weiter. Doch dass natürlich an der ganzen Nordseeküste, eben auch am Dollart und damit nur ein paar Kilometer von Potshausen weg, Deiche brachen, Menschen in Gefahr gerieten und großer Sachschaden entstand, das hatte ich nicht so direkt im Kopf. der Seminarleiter erzählte, dass damals sein Vater ein Fuhrunternehmen hatte (LKW) und Vater und Bruder voll eingespannt wurden bei der Deichsicherung, Tag und Nacht verzweifeltes Arbeiten gegen die Naturgewalten.
Aus der Wikipedia: bei Völlen (knapp 20 Kilometer von Potshausen) brach ein Emsdeich, das Dorf wurde überschwemmt, ein BW-Soldat starb bei den Rettungsmaßnahmen. Am Kanalpolder direkt am Dollart wurden die Deiche stundenlang überspült und schwer beschädigt, brachen aber nicht. Da waren am Dienstag lang gefahren auf dem Weg zum Kiekkasten…
Noch ein bisschen Feedbackrunde und dann war es das für 2018.

Nachdenklich ging es zum Mittagessen, Freitag, also Backfisch. Schon wieder lecker. Die wissen echt, wie das geht! Noch einmal Mund abputzen, das Auto war morgens schon gepackt und es geht heimwärts. Stau und Stau durch den Ruhrpott und um Köln herum. Danach ging´s. War klar, ab da ist auch mein Papa gefahren…

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https://www.nationalpark-wattenmeer.de/nds/erlebnisangebote/beobachtungsturm-kiekkaaste/2364
http://bergmann-landschaftsplanung.de/

London – auf ein Neues

Bester Laune komme ich freitags im Terminal 1 an. Heute geht es wieder nach London, und da drüben steht schon mein Vater, der mich dieses Jahr begleiten wird. Alleine wäre es doch arg öde. Erstmal Frühstück, beim Käfer gibt es zumindest guten Kaffee und für mich ein Müsli. Online eingecheckt habe ich gestern schon, die Bordkarte ist digital auf dem Handy. Modern times halt.

Am Gate dann die erste ÜBerraschung – Busfahren statt Einsteigen ist angesagt. Der Bus fährt gefühlt bis nach Walldorf, unsere Maschine steht nämlich in der Cargo City zwischen lauter Frachtmaschinen. Hauptsache rein in den Eimer, Platz gefunden und dann geht es los. Der Flug ist ruhig, das Käsesandwich geschmacksneutral, ebenso das stille Wasser. Aber zumindest kann man sitzen, das ist doch auch schon mal was! Drei Ehrenrunden über London dank Warteschleife, leider konnte man aufgrund der Wolkendecke kaum etwas sehen. In Heathrow dann fragende Blicke meines Begleiters, allerdings kann ich mich nun auch nicht mehr so genau erinnern, wie das letztes Jahr wahr. Doch nach ein paar Minuten sind wir durch die Passkontrolle durch und auf dem Weg zu U-Bahn.
Letztes Jahr hatte ich den Heathrow Express genommen, war auch ok, aber schon teuer. Und mein Kollege meinte zu mir, dass es mit der U-Bahn auch ok sei, einen Sitzplatz kriegen sei kein Problem. Falsch. Zumindest bei der Fahrt nach London waren es dreißig Minuten Stehen in der wackligen Konservendose, ich war froh, als wir in Hammersmith waren. Noch ein paar Stationen zum “Grosvenor”-Hotel, das direkt an der Victoria-Station liegt. Als wir den Eingang gefunden hatten, staunten wir nicht schlecht. Eine Empfangshalle im alten Stil, mit großer Freitreppe und riesigem Kronleuchter. Es fehlte eigentlich nur noch der Concierge mit Livree und gelüftetem Zylinder.

Da unser Zimmer noch nicht fertig war, gingen wir erstmal in die Bahnhofshalle. Was für ein Trubel. Mittendrin etwas, was nach Kneipe aussah. Ok, irgendwo auf der Welt ist immer schon nach vier, oder? Jeder ein Bierchen und Leute gucken. Auch nicht viel anders als als zu Hause, alle in Eile, alle zielstrebig am Flitzen vom Zug, zum Zug. Durch den Hintereingang – direkt aus der Bahnhofshalle – ging es wieder ins Hotel. Aufzug in den vierten Stock, zweimal um die Ecke, den Gang entlang, durch das hintere Treppenhaus, zum zweiten Aufzug, ein Stockwerk nach nach oben in den sechsten Stock (häääh?) und den Gang runter zum Zimmer. Oder so. Das Zimmer. Nun. Es ist klein. Bei zwei getrennten Betten (no Queen, no King), zwei Nachttischen und einem Schreibtisch samt Stuhl bleibt für zwei Personen nicht mehr viel Platz. Im Bad ist überhaupt kein Platz für zwei. Nicht mal für einen… Ausblick hat es auch – von oben auf die trüben Glsdächer des Bahnhofs, im Hintergrund, auf der anderen Seite der Themse, blinken die Warnlichter der Baukräne an der Battersea Station. Romantik pur. Aber hey, die Betten sind bequem und insgesamt ist es auch recht leise.

Nun aber ab Richtung O2, denn wir sind ja wegen der Musik hergeflogen. Mit der U-Bahn kommt man nun schon besser zurecht, rauf die Treppe, runter die Rolltreppe, einmal umsteigen und wir stehen vor der Monsterhalle. Genau wie letztes Jahr stellt sich bei mir das “wow” wieder ein, dieses Ding ist einfach riesig. Aber auch gut ausgeschildert, so fanden wir schnell den Eingang und nach einer Sicherheitsschleuse auch die – natürlich – Rolltreppe zu unserem Block. Bisschen Zeit müsste doch noch sein, bis das Konzert anfängt? Also noch mal was zum Essen auftreiben, immerhin ist es seit dem müden Sandwich über den Wolken schon wieder ein paar Stunden her. Überraschend lecker, der Burger, auch die Pommes und mein kleines Bierchen. Beim Kauen schauen wir uns die Leute wieder an. Viele mit Cowbowstiefeln und -hüten, außerdem scheint diese Saison in London “eng” wieder im Trend zu sein: Jeans, Oberteile, Leggins (*grusel*), alles betont die Figur. Sieht nicht immer gut aus, aber konsequent. So, genug geguckt, jetzt wollen wir was hören. Praktischerweise hat “Old Dominion” schon angefangen und beim Weg zu unseren Plätzen scheppert es schon im Bauch. Erste Band, erstes Lied und die Soundtechniker haben die Regler schon am Anschlag? Letztes Jahr war das nicht so heftig, aber gut, diesmal sind die Plätze auch deutlich näher zur Bühne und den Lautsprechertürmen. Das wurde für die nächsten vier Stunden auch nicht mehr besser, was mir den Musikgenuss nachhaltig versaut hat. Diese Musik war gut, keine Frage, aber wenn jeder Zupfer des Bassisten den Magen um ein paar Zentimeter anhebt, ist es übertrieben. Gerade beim eigentlichen Hauptact “Tim McGraw & Faith Hill” war dann endgültig Sense. Erst ein kleiner gemeinsamer Auftritt, dann Faith Hill ungefähr 40 Minuten alleine. Kommentar meiner Begleitung: “mit Country-Musik hatte das aber nix mehr zu tun, eher Gitarrenrock mit einem bisschen Blues und die Alte hat auf Powerröhre ala Tina Turner gemacht”. Könnte ich nicht widersprechen.
Folgerichtig sind wir kurz nach 10 aus der Halle, während Tim McGraw noch sein deutlich dezenteres Soloprogramm abspulte. Wir waren nicht alleine und auch nicht die ersten, die die Halle vorzeitig verließen. Immerhin ging es dann an der U-Bahn deutlich zügiger als letztes Jahr. Wenig los, gleich in die Bahn nach West Ham gesprungen. Und von da wieder direkt nach Victoria. Alles easy. Im Bahnhof noch ein kleines Kniffelspiel – Wasser holen für das Hotelzimmer. Der kleine Supermarkt hat sogar noch offen, aber die Kassen sind zu. Nur noch SB-Kassen. Interessant, das hab ich noch nicht ausprobiert, aber erfolgreich gemeistert. Jetzt nur noch ins Hotel, Zähneputzen und Pennen. Vorhänge zu hilft dabei.

Die Nacht war kürzer als gedacht, ich war schon um sechs wach. Ok, sieben Uhr deutscher Zeit, aber immer noch zu früh. Ein bisschen Lesen und den Vater noch ein bisschen schlafen lassen. Gut für die Stimmung und das Kharma! Bisschen restaurieren im Badezimmer und dann runter zum Frühstück. Englisches Frühstück, da stehe ich ja voll drauf. Krosser Speck, würzige Bohnen, fluffiges Rührei und Würstchen. Aber wie schon letztes Jahr im Tower Hotel konnte das auch hier im Grosvenor nicht überzeugen. Ob es daran liegt, dass es die selbe Hotelkette ist? Rührei lauwarm bzw. am Tisch dann kalt, Bohnen eher geschmacksneutral und die Würstchen waren schon letztes Jahr “merkwürdig”. Den “Bacon” (große Stücke Kochschinken, die wohl mal ein paar Minuten in der Pfanne waren) hab ich gleich auf dem Büffet gelassen. Hmmpf. Immerhin war das Müsli ok, das gibt Kraft für den Samstag. Bustour und ein bisschen Sightseeing steht auf dem Plan. Der Bus fährt direkt vor dem Hotel ab und am Ende drehen wir fast eine ganze Runde, vorbei an Big Ben (total eingerüstet), der Tower Bridge, St. Pauls, alte Pubs mitten in der City und was man als Tourist eben so gucken kann. An der Westminster Bridge steigen wir aus, ein paar Fotos müssen sein. Und bei einem Fußmarsch über den Trafalgar Square und “The Mall” kann man sich alles von Nahem anschauen. Unglaublich, was hier an Steinklötzen aufgebaut ist! Quer durch den St. James Park ging es am Buckingham Palace dann Richtung Hotel. Kurzer Mittagsschlaf. Danach mal sehen, ob es für eine echte Englische Teatime reicht. Ach, da war es wieder. “No reservation? Sorry, then you can take only a coffee in the normal restaurant.” Na, an der Bar ein Tee und einen Kaffee, kommt man auch mit klar. Wieder schaue ich mir die schöne Inneneinrichtung an. “Typisch englisch”, möchte man denken, dunkles Holz, Messing, einfach edel. Um den Tag nicht gänzlich zu vertrödeln, ziehen wir noch mal zu Fuß los. Sportlich sportlich, na, wir schlendern eher die Victoria Street entlang Richtung Westminster. Unglaublich viel Leute sind unterwegs, und was man auch hier so alles Einkaufen könnte… aber die Souvenirs für daheim haben wir schon und ich meine Postkarten auch z.T. schon geschrieben. Also schauen wir uns noch ein bisschen London bei Nacht an und trödeln langsam wieder Richtung Hotel.
Zum Abendessen hatte ich einen Tisch im hoteleigenen Chinarestaurant reserviert. Schön eingerichtet, sehr gemütliche Couch für, aber auch Vadderns Stuhl war wohl sehr bequem. Vorneweg muss ich sagen – mit dem üblichen Asia-Büffet hat das Restaurant ungefähr so viel zu tun wie eine Stehpizzeria mit einem echten Restaurant! Meine Wan-Tan-Suppe war sehr lecker, die Teigtaschen gefüllt mit Krabben. Und die Dim-Sum-Platte ebenso, superlecker (und teuer) gefüllt, da weiß man dann schon wieso die Vorspeise schon mehr kostet als anderswo das All-U-Can-Büffet… Zum Hauptgang hatte ich “Crispy Szechuan spicy chicken” bestellt. Vielleicht hätte ich weniger auf das “crispy” gucken sollen, denn es war echt scharf. Auch Papas “Chicken curry” hatte ordentlich bums, ich hatte zwar schon gehört, dass in England etwas schärfer gewürzt wird… aber das war heavy. Zum Glück hatten wir eine Flasche stilles Wasser bestellt, die war nachher leer. Lecker war es trotzdem. Nun noch einen Absacker in der Hotelbar. Knaller, der Laden, riesige Plüschsessel, so bequem habe ich seit langem nicht mehr rumgelümmelt. Dazu noch ein Scotch und ein Canadian-Club-Cola-Longdrink – für den Durst. Bettschwere wird zeitnah erreicht…

Der Sonntag verläuft entspannt. Morgentoilette, Koffer packen, kleines Frühstück (zwei belegte Brötchen und KAFFEE) und noch ein bisschen die Füße hochlegen. Auschecken und ab zur U-Bahn. Kleines Goodie – an den meisten größeren Stationen steht ein Bahnangestellter in der Nähe der “Oyster-Card”- Automaten rum und hilft einem bei der Bedienung weiter. Hab ich am Hauptbahnhof oder Konsti noch nicht gesehen… und die Route zum Flughafen gab es noch gratis dazu! In der Piccadilly Line war es am Anfang wieder recht voll, doch nach ein paar Stationen leerte sich der Zug und wir konnten die Fahrt im Sitzen genießen. Zwischendurch schien sogar noch die Sonne durch die Fenster, scheinbar hat sich London sehr über unsere Abreise gefreut. Am Flughafen ging es wie letztes Jahr recht zügig durch den Check-In und die Security, blieb nur noch das Warten am Gate. Und das zog sich noch mal… In der Schlange stehen mit einer italienischen Abitursklasse auf der Heimreise geht ziemlich auf die Ohren.
Am Ende war das Boarding um eine halbe Stunde verschoben, unser Startslot war auch weg und wir durften uns in den Stau auf der Taxiway einreihen. Dafür mussten die Triebwerke auf dem Heimflug noch mal ordentlich orgeln, um die Verspätung auf knappe 20 Minuten zu drücken. Ab durch die Mitte, leider war nach der Einreisekontrolle dann der Expressbus doch weg. Dafür warteten Frau und Kind auf mich, beide haben sich arg gefreut mich wieder zu sehen. Und bei “Peppa Wutz im Union Jack-Kleid” ist Alexander komplett ausgeflippt. Mal ein Glücksgriff beim Souvenirkauf.

Und nun? 2019 wieder? Schaun mehr mal…

Handball Hilft: 2018 erstmals bei den Damen

Bisher war ich nun schon ein paar Mal Höchstbietender bei den Handball-Hilft-Auktionen, doch beschränkte es sich auf Herren-Handball: zweite Liga in Hüttenberg, Pokalfinale in Hamburg oder All-Stars in Leipzig. Dieses Jahr war es nun Bensheim-Auerbach, an der schönen Bergstraße. Frauenbundesliga. Mit Hotelübernachtung und Abendessen. Und deutlich günstiger als ähnliche Auktionen für Bundesligisten endeten…

Auf jeden Fall eine tolle Kommunikation mit dem Verein, sehr flexibel – ich Dabbes hatte nämlich übersehen, dass die Auktion eigentlich für ein spezielles Datum aufgerufen war. In zwei Wochen, wenn es nach London geht. Aber ratzfatz war das geklärt, zwei Wochen eher, Gegner der BVB (ja, genau der!) statt Göppingen.

Bei lauschigen -1°C und strahlendem Sonnenschein kamen wir am Parkhotel Krone an. Unser Zimmer war noch nicht fertig, also drehten wir eine kleine Runde durch die Auerbacher Einkaufsmeile und ließen uns beim Bäcker Kaffee und Kuchen schmecken. Im Hotel die erste Überraschung, statt eines normalen Zimmers war die “Prinzessinen-Suite” für uns vorgesehen. Zwei Räume plus Bad, reichlich Platz und Fenster mit Aussicht.

Sören Wennerlund von den Flames holte uns vom Hotel ab, nach ein paar Fotos für den Sponsor ging es direkt zur Halle. Eineinhalb Stunden vor Anwurf waren viele fleißige Helfer noch dabei, die Halle für die erwarteten knapp tausend Zuschauer herzurichten. Noch einen kleinen Kaffee, dann suchten wir uns ein Plätzchen auf der Tribüne. Warmmachen ist überall dasselbe, ob Kreisklasse oder Bundesliga. Zugegeben, die jungen Frauen sind um einiges beweglicher beim Dehnen als die Männer am Schwarzbach.

Anpfiff – der BVB, gespickt mit Nationalspielerinnen, aber noch mindestens drei Plätze von Europa entfernt, wollte es wissen. Doch an der Flames-Torfrau blieben sie zu Beginn ein paar Mal hängen. So konnten die Gastgeberinnen sich in der ersten Hälfte sogar kurz absetzen und gingen mit nur einem Tor Rückstand in die Pause. Nach dem Seitenwechsel nutzte Dortmund ein kollektives Nickerchen der Flames, um sich entscheidend abzusetzen. Nach 42 Minuten stand es 20:13 für die Gäste, ich war der Meinung “Thema durch, jetzt gibt´s auf die Ohren”.
Doch weit gefehlt, die Flames kämpften weiter, konnten sich mit einem 5:0-Lauf wieder ranarbeiten. Die Halle spürte, das da noch was drin ist und unterstützte die Spielerinnen lautstark. Ich kann mich an Spiele in der SAP-Arena erinnern, wo deutlich weniger Stimmung war! Kurz vor Schluss gab es sogar noch die Chance zum Ausgleich, doch wurde diese vergeben und im Gegenzug machte Nadja Mansson mit dem 25:23 den Sack zu. Sehr schade für die Frauen.
Nach dem Spiel gab es für den großen Spender noch ein kurzes Interview auf dem Feld und ein Bierchen im VIP-Raum. Dann ging es mit dem “Flames-Shuttle” wieder zurück zum Hotel.

Im rustikalen Gastraum – das Hotel ist immerhin in den Grundmauern von 1655 – gab es für uns nun noch ein 3-Gang-Menü. Vorneweg ein bisschen Sekt mit fruchtigem Schuss zum Warmwerden, dann wurde aufgefahren. Feldsalat mit Speck und Croutons, eine mächtige Portion. Als Hauptgang geschmorte Rinderschulter mit grünen Bohnen (sehr knackig) und Kartoffel-Sellerie-Pürree (zum Glück ohne viel Selleriegeschmack). Als dann noch karamelisierte Ananas mit Frischkäse kamen, war der Bauch wirklich gut gefüllt.
Alles sehr lecker, der Kellner war auch freundlich und zügig unterwegs – so kann man es sich abends gutgehen lassen! Für die persönliche Fitness noch die Treppe rauf zum Zimmer und entspannt ins Bett fallen lassen.

Morgens gab es frisch erholt noch ein bisschen Eishockey und lecker Rührei mit Speck vom Frühstücksbüffet. Dann ins kalte Auto und nach Hause.

Fazit: Ein schöner Wochenendausflug an die Bergstraße, ein paar Euro für die Krebsforschung und leider keine zwei Punkte für die die Flames. Aber ich drücke den Damen auf jeden Fall die Daumen, dass ihr Verein auch im Dezember 2018 an den Handball-Hilft-Auktionen teilnehmen kann – das würde nämlich bedeuten, dass sie die Klasse halten.

Vielen Dank noch mal an Sören Wennerlund von den Flames für die gute Organisation im Vorfeld und die Betreuung am Spieltag.

Links:

Handball Hilft!
HSG Bensheim/Auerbach Flames
Parkhotel Krone, Bensheim

Bildungsurlaub im hohen Norden

Gemütliche fünf Stunden auf der Autobahn bringen einen aus dem Rhein-Main-Gebiet ins Emsland. Baustellen und freie Strecken wechseln ich ebenso ab wie Regen und sonnigen Wolkenlücken. Auf halber Strecke stimmen wir uns bei der “NORDSEE Bottrop”  mit Fischbrötchen auf das Kommende ein. Das “Bildungszentrum” liegt irgendwo im Nirgendwo. Eine alte Backsteinkirche bewacht das Areal, im “Alten Pfarrhaus” sind Speisesaal und Gästezimmer untergebracht. Die Anmutung ist insgesamt protestantisch schlicht und streng. Einzelzimmer mit integriertem Bad kosten 21 Euro pro Nacht Aufpreis, dafür ist das Zimmer ausreichend groß und sauber. Standard wären “Zimmer mit Waschbecken (WC und Einzelduschen befinden sich auf der Etage)”. Vier Mahlzeiten am Tag sind allerdings in jedem Fall im Seminarpreis enthalten – auch wichtig!

Das Abendessen bei einer Anreise am Sonntag ist allerdings nicht dabei, also ab in die Dunkelheit. Hier oben, kurz vor dem Polarkreis, geht die Sonne gut zehn Minuten früher unter als zu Hause. Zwei Dörfer weiter liegt der “Deterner Krug”, gutbürgerliche Küche lecker Bier und ein netter Schnack mit der Bedienung. Schnitzel mit Hollandaise und Krabben, dazu Bratkartoffeln zum Niederknien. Alles sehr lecker und ein guter Tipp der netten Dame vom Bildungszentrum.

Kalauer – Nach dem Abendessen stehen wir auf dem Parkplatz, ein Blick in die dunkle Runde. “Schau mal, da drüben liegt echt der Hund begraben”. Auf den zweiten Blick fängt da die Friedhofsstrasse an…

Wieder im Zimmer angekommen noch Zähne putzen und über das WLAN (gratis!) noch ein bisschen Country 105 hören. Ansonsten hört man hier nämlich – nichts. Keine Flugzeuge, kein Martinshorn, auch keine Lichtverschmutzung. Einfach nur Stille und Dunkelheit vor dem Fenster. Und als das Handy mich aus dem Schlaf reißt, ist es noch genauso dunkel. Frühstück um 8:00, Sonnenaufgang ist erst für 8:15 vorgesehen. Allerdings sagt die Wetter-App auch “Anzahl Sonnenstunden: 0”. Und wird damit recht behalten.
Das Frühstücksbuffet ist auch bei starker Bewölkung noch gut zu sehen. Das Angebot ist überschaubar, aber alles da, was man braucht. Statt fünf Sorten Müsli und zehn Sorten Nüsse, Samen und Beeren – eine Sorte. Kaffee, schwarzer Tee, Brötchen, Wurst, Käse, Orangensaft. Reicht mir völlig. Heute Vormittag ist noch kein Programm, um 14 Uhr soll es dann losgehen.

Der Vorstellrunde ging schnell vorbei, dann noch das Geld für die geplanten Ausflüge ins alten Handwerk abdrücken und rein in die Theorie.
Was gab es im mittelalterlichen Ostfriesland an Berufen und Gewerken, wie lief das mit den Zünften? Die meisten Berufe gab es früher in jedem Dorf, z.B. Schmiede und Stellmacher (“Wagner”), andere konzentrierten sich eher in den größeren Gemeinden oder Städten. Denn nur wo genug wohlhabende Kunden waren, lohnt sich die Goldschmiede oder Handschuhmacherei. Jo, das war früher ein separater Beruf! Ab dem 18./19. Jahrhundert kam es dann zu einer zunehmenden Konzentration von Berufen, Stichwort “Industrialisierung”. Viele der alten Berufe sind durch die Fabrikfertigung mit ihrer Massenfertigung oder anderen Fortschritt weggefallen, ob nun die Weber oder die Hufschmiede. Ein Video zum Thema “Schuhmacherei” schloss den ersten Schulungstag ab. Unglaublich, wie viele Arbeitsschritte und Werkzeuge es braucht, um ein simples Paar Lederschuhe herzustellen.

Der zweite Tag findet außer Haus statt, also nur ein kurzes und frühes Frühstück, dann das Lunchpaket zusammen packen und rein in die Autos. Im Dörpmuseum Munkeboe scheint die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg angehalten worden zu sein. Eigentlich ist das Museum ab Ende Oktober geschlossen, aber für unsere Gruppe haben einige der Handwerker eine Ausnahme gemacht und sind noch mal in den Blaumann gesprungen. Mit Hammer und Amboss bringt der Schmied ein Stück glühendes Eisen in Form. Am Schluss ist ein Türbeschlag. Heutzutage werden die vermutlich maschinell schnell gebogen, zehnmal so schnell und ein Teil genau wie das andere.
Beim Stellmacher hat es dann schon etwas mehr moderne Technik, immerhin wird die Drehbank über Transmissionsriemen angetrieben. Aber auch hier haben Augenmaß und geübte Hände noch den größten Stellenwert, keine Computersteuerung steuert die Werkzeuge, keine Lasersensoren nehmen Referenzpunkte ab. Beim Sägewerk klappte die Vorführung leider nicht, dem 30-Liter-Dieselmotor war es zu kalt. Der Pressluftanlasser hat ihn zwar durchziehen können, aber die fünfzig Pferde waren wohl schon in den Süden geritten.

Nach dem Mittagessen habe ich versucht zu spinnen. Einmal im falschen Moment zu der Oma geguckt, die diese alte Handarbeit vorgeführt und schwups, saß ich auf dem Stuhl. Dejavu aus der Schule… Was soll ich sagen? Epic fail, ich bin definitiv kein Spinner, das hab ich nun amtlich und vor Zeugen nachweisen können. Und nein, ich möchte zu Weihnachten auch kein Spinnrad geschenkt bekommen! Beim restlichen Programm (Weberei, Glasbläser und Blaudruck) habe ich mich dann lieber mal raus gehalten.

“Blaudruck” oder auch “Blaufärben” bezeichnet eine alte Art, Muster auf Stoffe aufzubringen. Dazu nimmt man Holzmodel (Stempel), packt da ein Gemisch aus Wachs und “anderen Sachen” (geheim, geheim) drauf und presst sie auf den weißen Stoff. Viele Male. Das Gemisch verhindert beim anschließenden Färben mit Indigo, dass diese Stellen auch gefärbt werden. Danach wird das Wachs entfernt und man hat ein blaues Stück Stoff mit weißem Muster. Simples Prinzip, aber da muss man auch erst mal drauf kommen.

Beim Glasbläser fand ich weniger das Handwerk interessant, wenn auch die Leichtigkeit mich beeindruckte, mit der er während des Redens da am Arbeiten war. Vielmehr war es die Erzählung aus seiner Lehrzeit, die einen Einblick in das Sterben einer Zunft gab. Er hat damals wohl Apparatebläser gelernt, also z.B. diese Ventile und Knebel, die man so aus dem Chemieunterricht noch kennt. Für die konnte man im Akkord zu Beginn seiner Lehrzeit noch 17 Pfennige pro Stück zum Lohn dazu verdienen. Am Ende der Lehrzeit gab es nur noch 8 Pfennige, weil in der Zwischenzeit Methoden entwickelt worden waren, um diese halb-maschinell von Hilfsarbeitern herzustellen. Die “Fachkraft” war nicht mehr gefragt.

Zum Abschluss gab es im Speisesaal des Museum noch eine Einführung in die Ostfriesische Teekultur. Kluntje zuerst, Tee (nur dreiviertel voll die Tasse!) und zum Schluss noch Sahne. Diese unbedingt GEGEN den Uhrzeigersinn in die Tasse geben, “um die Zeit anzuhalten”. Dazu noch Rosinenstuten mit Butter.
Auf der Rückfahrt machten wir noch einen Zwischenstopp bei einer kleinen Brauerei. Kurze Einführung durch die Biergeschichte vom alten Mesopotamien durchs Mittelalter bis in die Neuzeit. Anhand der alten Brauanlage konnte man dann sehen, wie schon seit Uhrzeit mit zwei großen Kesseln das Jungbier hergestellt wird. Kein Edelstahl, keine elektrischen Rührwerke, sondern Holzfeuerung und Handrührer. Kleiner Schmunzler: “Jungbier entspricht etwa dem Federweißen beim Wein oder beim Apfelwein dem…” – “RAUSCHER”. Treffen sich eine Handvoll Hessen in einer Dorfbrauerei in Ostfriesland… Der Mann hat sich auf jeden Fall gefreut, ihn hat es nämlich aus Frankfurt(!) nach Bagband verschlagen.
Kleiner Einschub: die Brauerei verzichtet aus ökologischen Gründen auf Kronkorken und geklebte Etiketten, statt dessen gibt es Bügelflaschen mit Adhäsionsetiketten bzw. neuerdings auch gravierten Etiketten. Nur für den kleinen Aufkleber oben über dem Stopfen, auf dem Charge, Haltbarkeit etc. stehen müssen, hätten sie bisher noch eine Lösung gefunden…

Nach dem Abendessen (Hühnerfrikasse mit Reis, yummieee) noch ein Absacker in der EBZ-eigenen Bar. Nachdem die letzte Kneipe im Ort geschlossen hatte, wurde die ehemalige Schmiede renoviert und mit allem ausgestattet, was man so braucht: Billard, Kicker, Theke und Kühlschrank. Dazu in der ehemaligen Esse nun ein Kamin. Gemütlich und genau richtig.

Linkliste:
https://www.potshausen.de/
http://www.deternerkrug.de/
http://dörpmuseum-münkeboe.de/

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Kurz getragen

Wenn man aus dem abendlichen Konzert raus kommt und es ist noch nicht dunkel, ist das irgendwie kein gutes Zeichen. Und so war es letzte Woche, als ich aus der Jahrhunderthalle kam. Kris Kristofferson war nach Frankfurt gekommen, mit 81 vermutlich zum letzten Mal. Also mal hin tigern.

Als Vorband ein bisschen schneller Rockabilly-Sound aus deutschen Landen, doch der Saal wartete nur auf den Altmeister. Und dann kam er auf die Bühne, flotter Schritt, aufrechter Gang. Ich hoffe, ich laufe mit 81 noch so rum. Und dann sang er los. Nur Gitarre und Stimme. Puuhh. Schwere Kost, muss ich gestehen. Die Geschichten, die er vortrug, waren durchweg sehr gut, man kommt nicht ohne besondere Fähigkeiten in die “Songwriter Hall of Fame”. Und insgesamt war es auch gut zu verstehen.
Doch alles SEHR getragen, um nicht zu sagen – lahm vorgetragen. Mir fehlte die Energie aus “Convoy”-Zeiten, es war mehr ein Abend am Kamin, wo Opa alte Geschichten “von damals” erzählt und ein bisschen in die Klampfe greift. Zwischendrin war auch die (Sprech-)Stimme etwas wackelig, wobei er das gut überspielen konnte und sehr dizipliniert weiter gemacht hat.

Um viertel vor zehn war nach zwei Liedern Zugabe mit der Vorband auch Feierabend. Anfang Juli ist es da noch wirklich hell draußen. Komisch. Irgendwie… nicht befriedigend.